Auch die moderate Erholung der letzten Tage kann an den Ölbörsen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nachfrageprobleme schwer auf dem Markt lasten. Hatte sich im Sommer noch manch ein Marktteilnehmer der Illusion hingegeben, dass die Corona-Krise bald vorbei sein könnte, so wird er nun eines Besseren belehrt. Die Infektionszahlen steigen weltweit alarmierend an und auch in Europa, wo zuletzt eine Eindämmung des Virus geglückt zu sein schien, verbreitet sich Covid-19 erneut.
Zwar sind bisher in den meisten Ländern noch keine neuen, flächendeckende Lockdowns verhängt worden, doch die Angst davor steigt. Zahlreiche Regierungen haben ihre Beschränkungsmaßnahmen inzwischen wieder verschärft– womit die Nachfrage nach Öl und Kraftstoffen, die sich über den Sommer mühsam erholt hatte, wieder einen neuen Dämpfer bekommt.
Immer größere Sorgen bereitet den Marktteilnehmern auch die Wirksamkeit der OPEC+ Maßnahmen. Hatten diese im Frühjahr mit historisch hohen Kürzungen noch maßgeblich zur schnellen Erholung der Ölpreise beigetragen, wachsen nun die Zweifel, ob es der Organisation auch längerfristig möglich sein wird, die Preise zu stabilisieren. Die Einhaltung der Quoten ist und bleibt ein Streitthema zwischen den beteiligten Ländern und die Produktionssteigerung Libyens, dass von den Kürzungen ausgenommen ist, bringt unerwartet neue Mengen auf den Markt, die von der OPEC+ aufgefangen werden müssen.
Analystin Emily Ashford von Standard Chartered Plc. Ist der Meinung, dass ein Zusammenbruch des OPEC+ Abkommens zurzeit das größte Abwärtsrisiko darstellt. Und auch Vandana Hari von Vanda Insights sieht im Moment wenig Aufwärtspotenzial: „Bearishe Einflüsse aufgrund des Anstieges der Lieferungen aus dem Irak und Libyen sowie des Wiederauflebens des Virus in Europa überlagern in dieser Woche den stützenden Einfluss der gesunkenen Lagerbestände.“ Sie fügt hinzu: „ Der Rohölpreis wird auch weiterhin die Stimmung an den Finanzmärkten widerspiegeln.“
Die Experten von AxiCorp fassen die Lage folgendermaßen zusammen: „Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass gleich mehrere bearishe Faktoren die Rohöl-Preisrallye in den letzte Wochen ausgebremst haben und zu einem Überangebot in den nächsten Monaten führen könnten. Doch die Nachfrageschwäche bleibt die größte Sorge.“